Aktuell existiert im Psytarif keine Tarifposition für die Arbeit mit Familien, wenn der Indexpatienten/die Indexpatientin nicht anwesend ist. Das bedeutet, dass Psychotherapie immer MIT dem Indexpatienten stattfinden muss. Die (therapeutische!) Arbeit mit den Eltern oder anderen Teilen des Systems in Abwesenheit des Patienten ist nicht abrechenbar.

In der systemischen Sichtweise wird davon ausgegangen, dass ein Problem immer im Zusammenhang eines grösseren sozialen Bezugsystems steht. Ein Problem kann beispielsweise in der mangelnden Passung des Systems zu den einzelnen Mitgliedern bestehen, im Umgang eines herausfordernden Verhaltens eines Kindes beispielsweise. Auch kann sich ein pathologisches System manchmal im Zustand eines einzelnen Systemmitglieds widerspiegeln. Mit System ist das soziale Bezugsfeld gemeint, sei dies die Familie, die Schule oder andere Bezugspersonen.

In der psychotherapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen stellt sich immer die Frage, wie am schnellsten und nachhaltigsten eine Veränderung (ein «Unterschied«) entstehen kann. Dabei ist es manchmal angezeigt, den Schwerpunkt nicht auf die direkte Arbeit mit dem Problemträger zu legen, sondern viel eher mit den Bezugspersonen zu arbeiten. Nicht immer ist es sinnvoll, den Indexpatienten in der psychotherapeutischen Arbeit dabei zu haben. Manchmal ist der Umgang mit der Krankheit/Störung beispielsweise herausfordernd und es ist entscheidend, wie förderlich das System mit dem Patienten umgehen kann. Und es gibt Situationen, in denen der Patient aufgrund seines Entwicklungsstands oder Störung nicht aktiv am Gespräch teilnehmen kann. Ab und an ist es auch schlicht nicht gut für seine Entwicklung, wenn er dabei ist (Diskussion Fremdplatzierung ja/nein). Hier ein paar Beispiele aus meiner Praxis:

  • Ein Zweitklässler mit Schwächen in der sozialen und emotionalen Kompetenz fühlt sich in der Schule „gemobbt“. Bei der Arbeit mit ihm wird schnell klar: das Unfair-behandelt werden erhält bei der Mutter eine gewisse Resonanz – sie selbst ist sehr empfindsam und empfindet das Umfeld des Kindes als grob. Der Vater hat als Kind ebenfalls Ausschluss erfahren und fühlt sich hilflos. Für mich ist klar, dass ich zuerst mit den Eltern arbeiten muss. Wenn ich sie befähigen kann, so mit dem Jungen umzugehen, wie auch ich mit dem Jungen arbeiten würde (spielen, Rollenwechsel, Reflexion, Resonanz usw.), kann ich die Situation des Jungen sowie seine emotionalen und sozialen Kompetenzen nachhaltig verbessern.
  • Junge Eltern melden sich auf Anraten des KESB, weil ihre zweijährige Tochter ungewöhnlich eifersüchtig auf die Geburt ihres Bruders reagiert. Es stellt sich sofort heraus: es fehlt an allen Ecken und Enden an elterlichen Kompetenzen, aber das Herz sitzt am rechten Fleck. Ich arbeite mit den Eltern an grundlegenden Strukturen wie Essen, Schlafen, Medienkonsum, Förderung, aber auch an ihrer Teilhabe, und intensiv auch an ihrer Regulation (Anregung-Ruhe, Wahrnehmen von Gefühlen, Ego State Therapie). Mittlerweile ist der Junge bald vier Jahre alt und kommt demnächst in den Kindergarten. Ich sehe ihn ab und zu und seine Hyperaktivität macht mir Sorgen. Umso wichtiger ist es, dass ich mit den Eltern alleine und in Ruhe sprechen kann.
  • Eltern melden ihr Kind an, welches sich aber weigert, eine Therapie zu machen. Es spricht nur mit gleichaltrigen Freunden. Beim letzten Arzttermin hat sich das Kind im Treppenhaus von den Eltern losgerissen und ist aus dem Haus gerannt. Die Eltern machen sich grosse Sorgen, wohin diese anfängliche Scheu des Kindes wohl noch führt. Die Erziehungsberatung hat die Familie zu mir geschickt, weil das Thema therapeutisch ist. Ich erarbeite mit den Eltern, wie sie mit ihrer Tochter umgehen können, wie sie sie befähigen können, mit Herausforderungen umzugehen, sich selbst Sicherheit zu geben, die eigenen Gefühle rechtzeitig wahrzunehmen und zu regulieren.

Zur Zeit gibt es keine Tarifposition für die Arbeit im System in Abwesenheit des/der Patient:in. Aktuell gibt es zwei schlechte Alternativen, um Systemarbeit abzurechnen:
Zum Einen wäre da die Position PA020 Arbeit mit Paaren. Diese Position ist unpraktisch ist, weil für jede:n Teilnehmer:in eine eigene Anordnung (mit welcher Begründung?) nötig wäre. Ausserdem würde es das Familiensystem auf zwei verheiratete Elternteile reduzieren und ignoriert dabei weitere Bezugspersonen, Patchwork-Situationen usw.
Zum Anderen bietet sich die Position PK025 (Koordinationsleistungen) an. Aufgrund der Beschränkung (240 Min. in 90 Tagen) ist diese für Systemarbeit unbrauchbar, vor allem aber auch setzt die sehr anspruchsvolle Familientherapie auf eine einfache Koordinationsleistung herunter.
Ich wünsche mir eine valide Abrechnung meiner professionellen und effizienten Arbeit im System, welche ich mit gutem Gewissen verrechnen darf.

Silvia Balsama, eidg. anerkannte Psychotherapeutin, Fachpsychologin für Kinder- und Jugendpsychologie, in eigener Praxis tätig.