Dicke Nadeln und grober Stoff passen nicht in ein Nähkästchen…

Buch: Körperarbeit in der Systemischen Therapie

Verlag Beltz, September 2021, 233 Seiten

Autor: 86 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, vier Enkel, und schreibt noch Bücher, in den letzten zehn Jahren drei. Medizinisch sollte, nach Dr. med. Ludger Stratmann, in dem Alter alles hängen und tropfen. Hier bin ich der Meinung, dass nicht unter jeder schneebedeckten alten Scheune unbedingt auch der Ofen aus sein muss.

Worüber schreibt er? Körperarbeit in der Systemischen Therapie: ein provozierendes Thema! In der Paar- und Familientherapie war man nach Wetzel, einem Philosophen, nachzulesen in Wirsching und Scheib 2002, 23 noch der Meinung, dass in den Modellen der Systemischen Therapien, der Körperlichkeit, Sinnlichkeit, Verletzlichkeit und sinnlicher Lust usw. zu wenig reflektierende Aufmerksamkeit geschenkt würde und diese Aspekte einem einseitigen Intellektualismus unterstellt werden. Philosophisch, verbal orientiert haben K. H. u. A. Mandel und H. Rosenthal: Einübung von Liebesfähigkeit, 1975, nicht abgehandelt. David Trachsler, ein erfahrener systemischer Therapeut, bestätigte mir, dass jeder Praktiker Körperarbeit im systemischen Arbeiten einsetzt. Darum geht es in vorgelegter Veröffentlichung, wobei herausgestellt wird, dass es keine Kommunikation ohne Körpergefühl gibt und alle unsere Gefühle körpergebunden sind. Nach den Ergebnissen heutiger Hirnforschung kommen der Kommunikation und Interaktion grössere verändernde Wirkungen zu als unserem genetischen Material. Zudem konnte herausgearbeitet werden, dass bestimmte Interaktionsmuster in einzelnen Familiensystemen spezifische strukturelle Veränderungen des Gehirns zu Folge haben, was E. Kandel, 2018, belegt.

Was sich hinter einem fachspezifisch formulierten Buchtitel (Körperarbeit in der Systemischen Therapie) verbirgt, ist die Möglichkeit, an Hand praktischer Anleitung mit dem eigenen Körper im Familienverband auch kommunizieren zu lernen. Welche eine Hilfe für Probleme von Distanz in Familien während der Zeit der Pandemie!

Gerade erhielten die Mikrobiologen David Julius (USA) und der im Libanon geborenen Forscher Ardem Patapoutian den Nobelpreis für ihre Entdeckung von Rezeptoren für Temperatur und Berührung im Körper. Es wird bereits jetzt angenommen, dass dies ein Beitrag zur Schmerzbekämpfung sein könnte. Jede junge Mutter wird ihrem Kind, das sich ein Weh zugezogen hat, zuerst durch Streicheln und körperliche Nähe Erleichterung verschaffen. Die Wirksamkeit dieser Methode ist unbestritten und das bei körperlichem wie bei seelischem Weh.

Wenn junge Eltern nicht über diese Fähigkeit verfügen, können später ihre erwachsenen Kinder bei irgendwelchen Schmerzen nicht auf diese Form der Zuwendung zurückgreifen, doch die Leidenszustände, meist ohne klar zu umschreibendes Krankheitsbild, sind ein Appell an das Familiensystem, Zuwendung zu geben. Körperliche Nähe sich selbst und anderen gegenüber ist lernbar und Gefühle sind an den Körper und an den Beziehungskörper gebunden.

Die Mikrobiologie gibt der Systemischen Therapie eine Steilvorlage, weg von der vorwiegend rationalen, hin zum körperorientierten Umgang mit systemischen Problemstellungen.

Wie zum Inhalt des Buches? Bitte kein Durchlesen, schon gar nicht diagonal, sondern emotional-reflektierend.

Was fehlt dem Buch? Was sich hinter einem fachspezifisch formulierten Buchtitel verbirgt, ist die Möglichkeit, an Hand praktischer Anleitung mit dem eigenen Familienverband auch spirituell kommunizieren zu lernen.

Sie musste einer auf 250 zu beschränkenden Seitenzahl (von 341 vorgelegten Seiten) geopfert werden. Das tut weh, denn der Umgang mit dem Ende ist in einer Familie im Körpererleben und im Umgang mit dem Körper zentral.

Ich grüsse alle Kolleginnen und Kollegen von Systemis herzlich

Peter Dold