Stress gehört bei vielen zum Alltag dazu. In kleinen oder grösseren Portionen, in kurzen Etappen oder längeren Zeitspannen. Zur Belastung wird Stress, wenn wir uns ihm nicht gewachsen fühlen. Aktuell erleben wir in der Corona-Krise vielfältige Belastungen. Die Unsicherheit darüber, wie sich die Pandemie entwickelt und welche Folgen sie noch auf unser Leben haben wird, belastet viele. Wann können wir wieder unbeschwert Freunden und Familie treffen? Gemeinsam in einem Lokal sitzen? Ist der eigene Arbeitsplatz bedroht? Und wie wird sich unsere Gesellschaft langfristig durch die Pandemie verändern? Solche Ungewissheiten können auf Dauer zu Anspannung führen und ebenso wie die anhaltenden Einschränkungen zu Stress führen.

Stress entsteht, wenn eine Situation als belastend oder gefährlich wahrgenommen wird. Dabei ist entscheidend, wie das Verhältnis der Stressoren zu den eigenen Ressourcen empfunden wird. Man kann sich dies als eine Waage vorstellen, in der einen Schale liegen die inneren und äusseren Anforderungen, die es zu bewältigen gilt. In der Waagschale gegenüber schweben die Ressourcen, die die betroffene Person zu nutzen weiss. Zum einen wird die Situation selbst bewertet und als bedrohlich oder ungefährlich eingestuft. Steigt zum Beispiel die Arbeitsmenge im Beruf, kann dies als strapazierende Herausforderung bewertet werden, begleitet von Überlegungen wie, „Kann ich das schaffen? Wie reagiert mein Vorgesetzter, wenn nicht?“. Als nächstes folgt die Bewertung der Bewältigungsmöglichkeiten, etwa Zeitmanagement oder Unterstützung im Team, „Wenn ich die Arbeit gut einteile ist es machbar… Manche Aufgaben kann ich an andere abgeben.“

Anhaltender Stress schadet der Gesundheit. Der Körper reagiert, indem er unterschiedliche Stresshormone, wie Noradrenalin und Cortisol, ausschüttet. Wird eine Situation dauerhaft als belastend empfunden, baut der Körper die Stresshormone nicht ab und bleibt angespannt. So können physische Erkrankungen entstehen, typischerweise Bluthochdruck, Magen-Darm-Probleme, Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder der Ausbruch von Viruserkrankungen. Zudem werden mit dem Ungleichgewicht der Signalstoffe die Konzentrationsfähigkeit und Motivation vermindert. Oft folgen ein gemindertes Selbstwertgefühl, Überforderung und der soziale Rückzug.

Die Salutogenese richtet ihren Blick auf die gesundhaltenden Faktoren des Lebens. Ihr Begründer, der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky, definierte Salutogenese als ein positives Verständnis von Gesundheit. Für die Gesundheit eines Menschen seien seine Problemlösefähigkeit und Stressbewältigung entscheidend, für die er seine so genannten generalisierte Widerstandsressourcen nutzen kann. Diese setzt sich aus externen Ressourcen, wie materielle und soziale Unterstützung, sozialer Status, berufliche Integration oder finanzielle Sicherheit, und internen Ressourcen, wie Ich-Stärke, Bedürfniswahrnehmung, körperliche Gesundheit oder Bewältigungsstrategien, zusammen. In der Beratung oder Therapie können wertvolle Ressourcen für den gesunderhaltenden Schutz in herausfordernden Lebensphasen erfragt werden.

Aus Stress kann eine psychische Krise entstehen, wenn die betroffene Person sich von den Anforderungen überwältigt fühlt. Und wenn alle bisherigen Lösungsversuche fehlgeschlagen sind, stellen sich Gefühle, hilflos, machtlos zu sein und die Kontrolle über das eigene Leben verloren zu haben, ein. Eine wichtige Rolle beim Überwinden einer solchen Krise spielt die Haltung gegenüber sich selbst, der Welt und dem Leben sowie vorausgehende Erfahrungen: Konnten bisherige Herausforderungen gut gemeistert werden? Wie wurden Rückschläge verarbeitet? Wie wird mit den durch Stress ausgelösten Gefühlen, zum Beispiel Angst oder Ärger, umgegangen?

Die Sinnhaftigkeit und Bedeutung, nach denen ein Mensch Stressoren einordnet, fördern seine Widerstandskraft. Das Kernstück der Salutogenese bildet daher der sense of coherence (SOC), das Kohärenzgefühl, bestehend aus: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit.

Verstehbarkeit: Reize von innen und aussen werden als geordnet, vorhersehbar und erklärbar wahrgenommen.

Handhabbarkeit: ein optimistisches Vertrauen, dass einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Reize stellen, gerecht zu werden.

Bedeutsamkeit/Sinnhaftigkeit: die Überzeugung, dass das Leben einen Sinn hat und sich die für diese Anforderungen nötige Anstrengung und Engagement lohnen. „Formal bezieht sich die Komponente der Bedeutsamkeit des SOC auf das Ausmass, in dem man das Leben emotional als sinnvoll empfindet: dass wenigstens einige der vom Leben gestellten Probleme und Anforderungen es wert sind, dass man Energie in sie investiert, dass man sich für sie einsetzt und sich ihnen verpflichtet, dass sie eher willkommene Herausforderungen sind als Lasten, die man gerne los wäre.“ (Aaron Antonovsky, Salutogenese – Zur Entmystifizierung der Gesundheit).

Ein Mensch mit einem starken Kohärenzgefühl empfindet einen Stressor eher als eine Herausforderung als eine Belastung und ist dadurch bereitwilliger, Ressourcen zu aktivieren, um den Stressor zu lösen. Das Kohärenzgefühl entwickelt sich vor allem über Teilhabe an sozial anerkannten Tätigkeiten und Entscheidungen. In der Teilhabe erfährt ein Mensch Achtung, Respekt, Resonanz und damit das Gefühl, wichtig zu sein. Somit werden das Zugehörigkeits- und Selbstwertgefühl gesteigert und die Handlungsfähigkeit der Betroffenen in der belastenden Situation gestärkt. Es wird leichter, auf die eigenen Kompetenzen zu vertrauen. Indem Freude mit anderen erlebt wird und Mitgestaltung möglich ist, steigt das Gefühl der Sinnhaftigkeit.

Regina Rohland