Flüchtlingsnot – Bilder und Geschichten, die uns hilflos machen. Eine Praxisgemeinschaft in Zürich möchte nicht ohnmächtig und resigniert zusehen. Sie handelt – und möchte andere KollegInnen zur Nachahmung anstiften. Systemis-Mitglied Suzanne Dietler berichtet von einem spannenden Projekt:

„Täglich sehen wir Bilder von Ansammlungen von Frauen, Männern, Kindern, die an stacheldrahtbewehrten Grenzen warten, hören Geschichten von Menschen auf der Flucht, von lebensgefährlichen Meeresüberquerungen, lesen Nachrichten über Durchgangslager mit unmenschlichen Bedingungen, von unbegleiteten Jugendlichen und Kindern, die in der Schweiz angemessen untergebracht und betreut werden müss(t)en, von Asylsuchenden, die hier verunsichert auf eine Antwort warten, von vorläufig Aufgenommenen, denen die Gelder gekürzt werden, von Gemeinden, die sich gegen ein Asylzentrum wehren. Eine Unmenge von Bildern, die uns hilflos machen, die uns verfolgen, die wir resigniert weg legen – weil wir unser Nichtstun nicht aushalten.

Aus diesem Grund suchten wir in unserer Praxisgemeinschaft im Züricher Kreis 5 nach einem Weg, um handlungsfähig zu werden.

Uns war bekannt, dass im Ambulatorium für Kriegs- und Folteropfer in Zürich, im KJPD und bei anderen Anlaufstellen lange Wartelisten für die dringend benötigten Therapien für traumatisierte Flüchtlinge existieren. Dies unter Anderem, weil zusätzliche Kosten für eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher anfallen, die nicht über Krankenkasse abgerechnet werden können und deshalb nur von Institutionen getragen werden, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügen. In privaten Praxen ist dies in der Regel gar nicht oder nur in sehr beschränktem Masse möglich.

Darum haben wir uns entschieden, je eine Stunde pro Woche pro Teammitglied eine dolmetschergestützte Trama-Therapie unentgeltlich anzubieten: Mit dem Honorar, das wir von der Krankenkasse für die delegierte Therapiesitzung erhalten, bezahlen wir die/den DolmetscherIn.

Wir kontaktierten die verschiedenen ZuweiserInnen und unterbreiteten ihnen unser Angebot. Ein Teammitglied ist Ansprechperson für Anfragen und leitet diese innerhalb der Praxis weiter. Spezialisiert haben wir uns – entsprechend unseren individuellen Schwerpunkten – auf traumatisierte junge Erwachsene, Frauen/Mütter mit Kindern und unbegleitete Minderjährige. In der Zwischenzeit kontaktieren uns nun auch BeiständInnen, die mit Flüchtlingen arbeiten und vermitteln uns KlientInnen. Voraussetzung für die Behandlung ist eine Überweisung des Triagearztes oder des zuständigen Sozialamtes.

In die Arbeit mit einer Dolmetscherin oder einem Dolmetscher mussten wir uns erst einarbeiten. Eine Einführung dazu holten wir uns an einer entsprechenden Tagung des Staatssekretariats für Migration (SEM) in Bern. Für TherapeutInnen ist die Situation zu dritt ungewohnt, die Anwesenheit einer „Mittelsperson“ kann irritieren und der direkte Kontakt zu den KlientInnen wird verlangsamt. Es entsteht ein triadisches Beziehungssystem zwischen SprachvermittlerIn, TherapeutIn und KlientIn mit unterschiedlichen Rollenerwartungen, die vorerst geklärt und laufend evaluiert werden müssen.

Die von uns gewählten DolmetscherInnen verfügen alle über eine Weiterbildung für die Arbeit innerhalb einer traumaspezifischen Psychotherapie oder haben zumindest mehrjährige Erfahrung damit. Die Fachstelle Medios der Asylorganisation Zürich (AOZ), ein Projekt des kantonalen Integrationsprogramms, vermittelt solche interkulturellen DolmetscherInnen. Auf der Lernplattform Trialog sind wichtige Informationen sowie weitere Vermittlungsstellen aufgelistet und abrufbar. Oft wurden die Asylsuchenden schon vorher von einer/einem DolmetscherIn begleitet und haben bereits ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Es ist sinnvoll, diese dann weiter zu beschäftigen.

In regelmässigen Intervisionssitzungen besprechen wir unsere Arbeit mit Flüchtlingen, tauschen Informationen aus oder geben Tipps zu den Anlaufstellen und Freiwilligenprojekten für Asylsuchende. Über letztere haben wir einen für alle zugänglichen Ordner erstellt, den wir fortwährend ergänzen. Die Informationen dafür erhalten wir nicht selten von den Betroffenen selbst. Die Vernetzung und die soziale Integration haben einen sehr wichtigen Stellenwert im Leben unserer KlientInnen und bestimmen massgeblich das psychische Wohlergehen.

Das Projekt bereichert auch uns: Durch unsere Arbeit erhalten wir Einblicke in andere Lebenswelten, Denkweisen und Glaubenssysteme. Und noch wichtiger: Sie gibt uns die Möglichkeit, aus Lethargie und Hilflosigkeit zurück zu finden zu unserer Handlungsfähigkeit und dem motivierenden Gefühl von Wirksamkeit.

Es freut uns, wenn dieses Projekt bei anderen KollegInnen Anklang findet und sie zur Nachahmung anstiftet!“

Suzanne Dietler
Sozialpädagogin FH, Psychotherapeutin SBAP, Supervisorin

Links:
AOZ / Medios:  www.stadt-zuerich.ch/aoz/de/index/integration/medios.html
Lernplattform Trialog:  http://trialog.inter-pret.ch/de/home-7.html